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Potsdam: mit der Strassenbahn zur EOS 1

Tramfahrt Potsdam in Echtzeit, Linie 92/96

Damals als ich noch ein kleiner Jammerossi war, gab es in der brandenburgischen Landeshauptstadt – bzw. Bezirkshauptstadt Potsdam wie wir damals sagten – zwei EOS: die Helmholtz nahe des Holländischen Viertels mit Schwerpunkt Neusprachen- und gleich neben dem mittlerweile abgerissenen Mehrzweckbau „Drushba“ die meine Humboldt AKA EOS 1 mit Altsprachenunterrricht im Angebot (ausserdem tolle Foto AG und paramilitärisches Luftgewehrballern auf dem Dachboden). Hinschlendern wie zu POS-Zeiten oder mit MIFA-Klapprad hincruisen war nicht, weil zu weit. Also Strassenbahn. An dieser Stelle jetzt der apropos-Moment: YouTube-Fundstück der (Vor)Woche ist die oben eingebettete Bewegtbild-Aufnahme der Strecke. (Um genau zu sein: bei 7:42 min aussteigen und bisschen Fussweg, oder – falls noch Zeit – vorher fix in den Zeitschriftenladen gegenüber, um 60 Pfennig für den aktuellen technikus auf den Zeitschriftenverkaufstresen zu legen.)

zum Kampftag der Arbeiterklasse in Potsdam

Grundsätzlich mag ich ja dieses Event-Modell „Brunch“. Insbesondere, wenn Lokation und partizipierende Menschen Entspannung, und Käffchen in der Sonne erwarten lassen. 1. Mai in der brandenburgischen Landeshauptstadt (genauer gesagt l:dachterrasse), und das Wetter war auch toll! Gerade habe ich einige hyppsche Farbabzüge aus der PGH Foto abgeholt:

Wir schlendern zum Westauto.
Sowas klebt am Maybach der Gastgeber.
In diesem Gebäude wurde ich vor fast dreissich (!) Jahren jugendgeweiht. Walter Flegel las was vor, und am Ende des Tages gab’s von Omma und Oppa diesen krassen Westrekorder, der noch heute bei uns in der Küche steht. #transparenzkommentar
ORB – ich fand das Logo immer recht hyppsch.

Apropos Event: die guck ich mir von aussen an. Anti-Mute, dann gibt’s die volle Packung. Und dass Mensch sich ticketless nicht draussen vor dem Tore bzw. auf dem Hofe treffen kann – nun ja, da kann ich sowohl den Veranstalter als auch @tristessedeluxe verstehen.

Die @republica hätte gerne kommunizieren können, dass man ohne Ticket nicht auf den Hof kommt. #rp14 :-( http://t.co/qY8mNYJ1lm

— Tillmann Allmer (@tristessedeluxe) 29. April 2014

Nachtrag: Tag der Republik

Ich hatte mir in der üblichen Content-Bereitstellungs-Hektik alles schon so schön ausgemalt: das Foto zum Event raussuchen, albernen Text darunter-HTML-en und fertsch ist der Internetz-Tagebuch-Eintrag zum 64. Geburtstag der Republik. Denkste! Foto nicht gefunden! Tüpisches 404-Situations-Setup: gefühlt täglich fällt dir der Krempel in die Hände (immer in Sorge, dass die Chefin nichts davon wegschmeisst) – nur on urgent delivery demand kannste es selbstredend vergessen. Auch zehn Messi-Kisten später. Selbstbildnis als Ego-Heulkrampf. Aber ich habe immerhin diese hyppsche Ersatz-Devotionalie gefunden:

Denn eigentlich wollte ich kurz ins Internetz hineinfixieren, wie ich damals – tja, nun wäre view access auf das Foto praktisch – im Klassenverband den 7. Oktober 1989 erlebt hatte: „Wir fahren nach Berlin!“ Ach. Jawohl, denn das moderne Jubelpersertum ist keinesfalls eine Erfindung der Junge Union – nein, das hatten wir Ossis damals schon sehr gut drauf. Tag der Republik AKA Nationalfeiertag der DDR – in meiner Erinnerung grundsätzlich ein nerviges Ereignis, denn die zentrale Ausgabe von Winkelementen drohte bei solchen Festivitäten. Als heranwachsende lässige sozialistische Persönlichkeit fand ich in meiner Bubble nicht viel ätzend, diesen Winkelemente-Scheiss aber sehr wohl. Ich erinnere mich an eine andere, so called Kampfdemonstration der Arbeiterklasse (Klingt doch toll, oder?) in der Bezirkshauptstadt Potsdam, bei der sich die Kinder vom Vater-Kollegen um den Kram regelrecht rissen. Noch ein Selbstbildnis – diesmal als schnallste-echt-nicht. (#yrre, wie man sich im hohen Alter doch noch an manche Sachen recht gut erinnert.)

Aber zurück zum Marschbefehl nach Berlin: Gorbi kommt zum Gratulieren und Mahnen nach Hauptstadt der DDR, und unsere Schule fährt zum Jubelpersern hin. Becoz of my Beirette-Reflex an diesem Tag meine Praktica MTL 5 B neben die Stulli-Büchse inne Mappe gestopft und los. Mit dem „Sputnik“ aussen herum, denn mitten durch ging ja nicht – fragt @horax.

Ankimme in Berlin Schönefeld. Neuer Bahnhof – die real existierende Zweckarchitektur ist bis heute noch nicht zu übersehen. Auf der anderen Strassenseite fetter Intershop mit den Ausmassen einer Kaufhalle. Berlin eben. Hinüberschlendern Richtung Flughafen. Dort, wo sich die alten Backsteingebäude befinden, fragt @betonmischa. Warten, warten, warten.

Endlich: der Konvoi. Ich in guter ORWO-Position. Aber dann: Der UberTschaika (Mmh, oder war es ein Volvo?) rauscht heran und ich ahne bereits „Mist, der Gorbatschow sitzt auf der falschen Seite!“ Egal, Sonne lacht, Blende acht, klick! In diesem Moment entstand mein ganz persönliches 40-Jahre-DDR-Foto: der Staatsratsvorsitzende durch das runtergekurbelte Panzerglas-Fensterchen uns zukünftigen Jammerossis zuwinkend.

Der Rest ist bekannt: Elf 99, Schabowski, erster Trip nach Westberlin, bunte Volkskammer, DSU-Freaks (so ne Art AfD), Urlaub in Dänemark (!), etc. … und irgendwann fand ich mein nicht-Gorbatschow-Foto gar nicht mehr so schlimm. Ich hatte Erich Honecker abgelichtet. Als sein und mein Arbeiter- und Bauernstaat bereits im Abkacken begriffen war. Das Foto. Der Moment. Faszinierend. Bis heute.

PS: Das Foto wird bei 200 nachgereicht.